KI wird überall sein

Ein Gespräch mit der Trendforscherin Birgit Gebhardt

Die Zukunft der Arbeitswelt erforscht Birgit Gebhardt durch Besuche bei Pionieren und mit ihren Kunden. Die Trendforscherin berät bei digitalen Transformationsprozessen, den Auswirkungen von KI auf die Zusammenarbeit oder der Frage, was das Büro in Zukunft anbieten müsste. Erkenntnisse daraus bündelt sie in ihren „New-Work-Order“-Studien. Im Rahmenprogramm der Orgatec 2024 tritt Birgit Gebhardt als Speakerin auf. Wir sprachen mit ihr darüber, wie New Work und neue Technologien unsere Arbeit verändern.

Wie kommt es, dass seit Langem ausgiebig über die „Büroarbeit der Zukunft“ spekuliert wird?
Weil zunächst die digitale Transformation und nun die Künstliche Intelligenz dazu führen, dass sich die Zusammenarbeit und die Verarbeitung von Wissen im Unternehmen neu organisieren müssen. Die produktive Vernetzung muss auch im Büro erlebbar werden. Aber das steckt mit seinen Abteilungs-Silos und der an Bildschirmarbeitsplätzen ausgerichteten Architektur noch in der Maschinenwelt. Dabei hat das Büro seinen technologischen Vorsprung längst verloren.

Die Boomer gehen bald in Rente, die Generation Z sieht Arbeit kaum noch als Lebensinhalt. Wie könnte eine positive Vision der Arbeitswelt von morgen aussehen?
Ich denke da an eine spielerische Lern- und Erfahrungswelt, wo gemischte Teams im Wettbewerb zueinander nach Lösungen suchen. Dabei bedienen sie sich aus einer Vielfalt an realen Umgebungen und virtuellen Realitäten, um die Aufgabenlösung wie auch ihr eignes Lernen voranzubringen.

Der Erfinder des „New Work“ Konzeptes, Frithjof Bergmann, sah in Selbstverantwortung, Handlungsfreiheit und „Arbeit, die man wirklich, wirklich will“ die Basis für eine radikal veränderte Arbeitswelt. Wie viel New Work steckt im heutigen Büroalltag?
Die New-Work-Durchdringung ist je nach Mindset und Unternehmenskultur sehr unterschiedlich. Nicht jede Firma hat die Kapazitäten zum Strukturwandel und nicht jeder Mitarbeitende möchte agil arbeiten und sich immer neue Herausforderungen suchen. Aber als nach der Jahrtausendwende die digitale Transformation auf alle Agenden kam, war die New Work-Bewegung mit ihrer menschenzentrierten Idee von Zusammenarbeit quasi Werkzeug und Versprechen zugleich, um Knowhow und Kommunikation in den Unternehmen neu zu organisieren.

Ermöglichen New-Work-Spaces tatsächlich verbesserte Lebensqualität und höhere Produktivität? Sind sie vor allem bei Start-Ups beliebt oder werden sie auch in der Breite der Unternehmen ankommen?
Die zufällige Begegnung und der informelle Austausch sind kein Selbstzweck, sondern führen zu einer vertrauteren und inspirierteren Zusammenarbeit. Bei den Start-Ups geht es eher um eine Art Family- oder Community-Feeling, wie zum Beispiel auch mal gemeinsam zu kochen, am langen Tisch zu essen oder im Hof zu feiern, was bei der hohen Arbeitsbelastung als soziales Backup nötig wird. Bei Konzernen wie Adobe, in San Jose, werden solche Angebote großzügig ausgerollt, aber direkt mit der Möglichkeit, in den Arbeitsmodus zu wechseln. Zwischen Betriebsrestaurant und Dachterrasse gibt es kleine Gewächshäuser, die als Meetingräume ausgestattet sind. Wer sich beim Essen zufällig trifft, kann dort direkt ins Arbeiten kommen, bevor jeder wieder in seinen Bereich zurückkehrt. Auch auf der Fitnessetage gibt es Rückzugsräume zur Videotelefonie, damit man beidem gerecht werden kann – dem mentalen Ausgleich und dem verlässlichen Call. Unterm Strich geht es den Unternehmen wie den selbstorganisierten Teams also schon um Produktivität, die Erfordernisse sind aber andere und rufen auch andere Raumangebote auf den Plan.  

Wie werden Menschen in Zukunft mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz arbeiten? Welche konkreten Auswirkungen erwartest Du für die Büroarbeit?
Künstliche Intelligenz wird überall und in zahlreichen Formen abrufbar sein: als persönliche Assistenz, die mich durch meinen Alltag navigiert, wie auch im Unternehmen als Co-Pilot, der mir im Dokument oder per Sprachbefehl hilft und mich mit dem Unternehmen verbindet. Die inhaltsgetriebene Vernetzung erhöht die Produktivität, macht viele Tätigkeiten obsolet und bringt Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen aus verschiedenen Bereichen temporär zueinander, was die Büroorganisation fluider werden lässt. Interessanterweise wird sich das nicht technisch anfühlen, denn die KI dockt über digitale Kopfhörer und AR-Brillen direkt an unsere Wahrnehmungsorgane an, unterdrückt Stimmen oder blendet Informationen ins Sichtfeld und verwandelt diese kognitiven Kommunikationsräume in mobile Arbeitsräume. Unsere Aufmerksamkeit und Fähigkeiten könnten sich kaum besser fokussieren oder erweitern lassen und dem Büro bleibt nur übrig, ebenfalls über unsere Raumwahrnehmung zu triggern, indem es die Vorteile der realen Welt als spürbaren Unterschied erlebbar macht.  

Wenn es bei der Flächenplanung stärker um die Nutzerbefähigung gehen soll, kann die KI auch hierbei helfen?
Ja, auf jeden Fall. KI kann dabei helfen, verschiedene Datenquellen wie Raumbelegungen, Nutzungsverhalten und Personalentwicklungsdaten zu verknüpfen, um ein umfassendes Bild der aktuellen Situation zu erstellen. Das Start-UP Spaciv zum Beispiel fertigt dazu einen digitalen Zwilling als Ist-Zustand an, auf dem sich dann Zielbilder, Gap-Analysen oder Planungsvorhaben abbilden lassen. Zur weiteren Anreicherung und Optimierung lässt der Architekt und Spaciv-Gründer Malte Köditz auch Daten aus Learnings von anderen Kunden mit ähnlicher Problemstellung einfließen.

Heute kann über Reinforced Learning und generative KI den Nutzerbedürfnissen stärker entsprochen werden, wie mir Uli Blum, Experte für parametrisches Design und Raumanalytik bei Zaha Hadid Architects berichtete. Bei ZHA Analytics and Insights geht es neben Qualitäten wie Tageslicht oder Distanzen auch um Komfortfaktoren, wie die Sichtbarkeit auf der Fläche, der geschützte Rücken oder Ausblicke aus dem Fenster. Je nach Priorisierung wirft die KI tausende Varianten aus und gibt Empfehlungen. Ändert sich die Tischform, werden die Laufwege und alle anderen Zusammenhänge sofort neu berechnet.

Noch um das Jahr 2000 herum gaben bekannte Designer in Herstellerfirmen gestalterisch den Ton an und prägten die jeweilige Marke. Wer entscheidet, wenn die KI eine Flut von Designvarianten anbietet?
Bei all den Lösungsmodellen, die die KI vorschlägt, bleibt sie dennoch das Werkzeug, das auf die individuelle Fragestellung angepasst werden muss und dessen Output nur vom erfahrenen Planer oder Gestalter beurteilt werden kann.
Wenn die Standardisierung und Regulierung aber weiter zu nimmt – was sich aus Kosten- und Klimagründen gerade abzeichnet, wird es auch KI-Modelle geben, die Bauträgern und Investoren ihren Handlungsspielraum abbilden werden.

Werden Services von Herstellern und Marken bald schon wichtiger sein als Büromöbel? Wo gibt es das größte Optimierungspotenzial?
Service ist das Mittel zur Kundenbindung und um mehr zu verdienen als mit dem Produkt. Ich wundere mich, dass es noch so wenig Abomodelle im Büromöbelmarkt gibt, denn fast alle Kunden wünschen sich mehr Flexibilität bei der Einrichtung, ohne das alles immer selbst stemmen zu müssen. Auch die Forderung nach einem höheren Recyclinganteil, denen die Einkäufer entsprechen müssen, um die Klimaziele des Unternehmens zu erreichen, ließe sich in einem zyklischen Abomodell erfüllen. Das würde herstellerseitig im deutschen Markt zwar mehr Kooperation in Recycling und Logistik bedeuten, aber auch der neuen Logik der Vernetzung entsprechen. Ansonsten sind es am Ende wieder die großen Plattformen, die unseren Mittelstand in die Abhängigkeit zwingen.

Heike Edelmann

Die Trendforscherin Birgit Gebhardt berät Kunden wie die Lufthansa Group, Energie AG Oberösterreich oder Swisscom Immobilien. Ihre „New-Work-Order“-Studien werden vom Industrieverband Büro und Arbeitswelt (IBA e.V.) herausgegeben.